Neulich rief mich ein Freund an. Ob ich einen Moment Zeit habe? Es ginge um seinen Geburtstag. Ach ja, erinnerte ich mich erfreut, er werde doch demnächst Sechzig. Genau darum ginge es, meinte er mit merkwürdigem Unterton. Er werde sechzig. Noch sei er 59. Ich entgegnete etwas verwundert, ja, klar sei er jetzt 59, wenn er demnächst – wo sei das Problem?
Ich solle mal genau hinhören: neun-und-fünfzig! Ob ich verstünde? Bei FÜNFZIG stünde nämlich eindeutig die FÜNF vorne. Ich war leicht verwirrt, doch dann begriff ich. Wollte mitfühlend der Frage nachgehen, wie sich der bedeutsame Schritt hinein in den Sechziger wohl darstelle. Ob man einen Unterschied zum Fünfzigsten fühle. Wollte eben ausholen und trösten, dass man mit Sechzig nicht zwangsläufig zum alten Eisen zähle. Da seufzt der Freund abgrundtief und meint kurz angebunden, er hasse solche Feiern. Vor allem, wenn es um den eigenen Geburtstag ginge. Oh! Ich begriff erneut. Da verbarg sich das Problem. Ich fragte, wann er denn zuletzt Geburtstag gefeiert hatte. Die Antwort kam postwendend: Vor zehn Jahren! Den Fünfzigsten, logisch. Der mit der FÜNF vorne. Alle zehn Jahre dasselbe Problem: man „nullt“, begeht einen „runden“ Geburtstag – etwas besonderes also. Er sinnierte, ob der Wechsel der Zahlen vorne wieder gebührend begangen werden müsse. Praktisch veranlagt, wie ich bin, fragte ich gleich, in welchem Rahmen, mit welchen Personen er sich das vorstellen könne.  
 
Falsche Frage. Er begehrte sofort auf. Was das solle. Dies sei schließlich ein Tag wie jeder andere, an dem man aufsteht und frühstückt, zur Arbeit geht oder einer anderen Beschäftigung nachgeht. Er könnte das Schlafzimmer neu tapezieren. Oder dem Auto eine Verwöhnwäsche gönnen. Die Steuererklärung wäre auch fällig. Das könnte man machen. Ein ganz normaler Tag. Vorsichtig merkte ich an, dass doch da die anderen, also diejenigen, die auch wissen, dass er Sechzig werde.... und die alle gratulieren wollen. Er reagierte kämpferisch mit weiteren Überlegungen. Wegfahren. Oder einfach die Tür nicht aufmachen. Nicht ans Telefon gehen. Anrufbeantworter einschalten. Handy ausschalten. Keine Feier, nichts, alles wie sonst auch.
 
Ich pflichtete ihm bei. Er wäre durchaus in guter Gesellschaft mit einem solchen Entschluss. Herr Brender vom ZDF feiert auch nicht. Er will lieber seinen 70. Geburtstag gebührend begehen. Mary Roos feierte auch nicht. Sie feiert nie ihren Geburtstag, warum also ausgerechnet den 60.? Dagobert Duck wollte auch keine Feier. Es widerspreche seinem knauserigen Charakter, Zeit und Geld für Sentimentalitäten zu verschwenden, hieß es. Zumindest die beiden letzt genannten Gründe könne er gut auf sich selbst anwenden, meinte ich. Nix für ungut.
 
Seinen aufkeimenden Protest erstickte ich in einem alternativen Vorschlag. Ich könnte mir ein rauschendes Fest auch gut vorstellen. Er habe dadurch die Chance, offensiv mit dem Ereignis umzugehen. Sich unerschrocken zur neuen Zahl zu bekennen. Sie willkommen zu heißen.
 
Joschka Fischer beispielsweise habe anlässlich seines Sechzigsten eine exklusive Party in einem Berliner Luxusrestaurant mit illustren Gästen und sinnigen Geschenken gegeben. Heribert Bruchhagen empfing seine Gäste in seiner WM-Arena, damit alle, aber auch wirklich alle ihm gratulieren und die Geschenke abliefern konnten. Und Herr Böttcher aus dem Schrebergartenvorstand bestellte extra einen Alleinunterhalter, damit man ordentlich schwofen konnte. Apropos Musik: Klaus Meine von den Scorpions gab an seinem Ehrentag ein Konzert für alle Promis aus sämtlichen Bereichen. Ebenso Marius Müller-Westernhagen, der sein Jubiläum zum Anlass nahm, über sich und sein Lebenswerk nachzudenken. Eine Retrospektive seiner Lieder war das Ergebnis, die Fans durften Konzertkarten kaufen und sich mit ihm freuen. Wie Jimmy Page von Led Zeppelin seinen Sechzigsten feierte, ist nicht bekannt. Und wie der exzentrische Ozzy Osbourne seinen Ehrentag beging, will keiner wirklich wissen. Dann doch lieber Herrn Böttcher fragen, ob man das Vereinsheim anmieten kann.
 
Schweigen am anderen Ende der Leitung. Leicht verzweifelt dann die Bemerkung, der Tag X rücke unerbittlich näher, eine schnelle Entscheidung sei gefragt. Ich lief zu Höchstform auf. Er sei doch noch nie vor etwas weggelaufen, habe sein Leben lang Tapferkeit und Zähigkeit bewiesen. Er solle die Herausforderung annehmen! Den Leuten die Gelegenheit geben, zu gratulieren und Glück zu wünschen. Auch wenn sie sich klammheimlich freuen, dass er ab sofort auch zu denen gehört, die man heutzutage mit dem Suffix „Senioren“ versieht. Doch, so nennt man Leute über 60!
 
Das Telefonat ist nun ein paar Tage her. Seitdem warte ich gespannt auf eine Einladung zur Geburtstagsfeier. Zum Sechzigsten. Der erste Geburtstag mit der SECHS vorne.

der 60.Geburtstag